Das digitale Textverarbeitungsprogramm lässt durch seinen Versionsverlauf die Palimpseststruktur fortleben. Die jüngste Textebene ist zwar die einzige, die sich auf den ersten Blick erschließt, doch gerade die Sicherung dieser zuletzt verfassten Version konserviert ihre unzähligen Vorläufer. Die Rohstoffe eines Texts sind Zeichen und Fehler. Denn erst aus dem Halbzeug ungelenker Sätze und gelöschter Worte entsteht das angestrebte Werk.
Doch der Versionsverlauf ist nicht die einzige Form des digitalen Palimpsests. In jüngster Zeit überlagert die Maschinensprache zunehmend das menschliche Wort. Autokorrektur und ChatGPT, Erweiterungen, die beim Verfassen von E-Mails helfen, und vorgeschlagene Antworten, die einen von der Last zwischenmenschlicher Kommunikation entbinden — all dies verchromt unsere Worte, nimmt ihnen ihre Nachgiebigkeit, ihre Makel. So wird die Sprache zunehmend blutleer.