For magic consists in this, the true naming of a thing. - Ursula K. Le Guin, A Wizard of Earthsea
Magische Praktiken beschmutzen das sterile Weiß unserer High-Tech-Artefakte. Wo sich die Welt früher durch dunkle Rituale nach dem Willen Einzelner biegen sollte, wird sie heute zum nachgiebigen Objekt technologischer Prozesse. Dabei vollziehen sich Technik und Magie jeweils im Modus der Verborgenheit, hinter verschlossenenen Türen und im Schutz der Nacht. Und sowohl Code als auch Zauberformel bedienen sich der Macht von Namen. Ein Ding zu bennenen, macht es verfügbar — ob es um den geheimen Namen Gottes geht oder um eine Variable in Maschinensprache. Technik und Magie wirken an der Schwelle von Schrecken und Faszination. Hier wie dort ist es der bewusste Einsatz von Zeichensystemen, der den Eingeweihten Macht verleiht. Während auf der einen Seite Bits herrschen, sind es auf der anderen satanische Verse. Während hier die Syntax einer Programmiersprache den Lauf der Dinge vorgibt, ist es dort ein Fluch, der in Blut geschrieben wird.
Technik und Magie bedienen sich jeweils auf ihre Art bestimmter Symbole, die ihnen die Welt gefügig machen. Code wie Zauberspruch sind Formen der Kommunikation mit dem Unmenschlichen, eine Beschwörung des Fremden. Nicht umsonst existiert im deutschen Sprachgebrauch für weibliche Hacker die Bezeichnung Haeckse. Allerdings kann die Analogie dazu verleiten, historische Linien in den luftleeren Raum zu malen. Man stellt sich einen Quellcode aus dunklen Runen vor. Man wähnt eine Serverfarm unter dem Blocksberg. Man vermutet etwas Dämonisches im unleserlichen Maschinentext. Doch es ist ein Fehlschluss, in Analogien eine Gleichsetzung oder einen direkten kausalen Zusammenhang zu sehen. Denn Analogien sind vor allem Verweise; sie bilden ein Medium im Spalt zwischen zwei Sachverhalten, eine hermeneutische Öffnung, in der man eine Zeit lang agieren kann.
Im Terminal flimmern die weißen Zeichen. Nur für einen Moment wird ihr Blick glasig. Der Bildschirm verschwimmt vor ihren Augen, und die Bewegung der Symbole vor dem schwarzen Hintergrund wirkt fast wie ein unruhiger Nachthimmel. Die Haeckse blinzelt, bis sich ihr Blick wieder scharf stellt. Der kleine Ventilator auf dem Schreibtisch, der über ein USB-Kabel am Laptop fortlaufend Strom zieht, hält ihr zauses Haar in Bewegung. Monate des Phishings haben sie mit leeren Händen zurückgelassen. Auch kein Exploit hat sich aufgetan, der ihr den gewünschten Zutritt verschafft hätte. Wenn sie doch bloß eines der Admin-Passwörter in die Hände bekäme, die ihr binnen weniger Sekunden alle Türen des Systems öffnen würden. Sie zuckt zusammen. Die heruntergebrannte Zigarette in ihrer linken Hand hat ihr den Zeigefinger versengt. Sie drückt die Kippe in den Aschenbecher und lutscht an ihrem Knöchel, während sie einhändig und wie in Zeitlupe die Tastatur bedient. Dann eben brute force. Sie tippt einen neuen Befehl ins Terminal: $ sudo - das altbekannte Zauberwort macht die Maschine gefügig. Langsam und mit angemessner Ehrfurcht formuliert sie eine altbekannte Beschwörungsformel, die ihr Macht über ein globales Botnet verleiht. Und als sie Enter drückt, spürt sie fast die fremden Kräfte in ihren Fingerspitzen.
Vielfach ist die Analogie von Technik und Magie bemüht worden. Hans Blumenberg verweist darauf, dass die Magie „eine List oder gar Gewalttat gegenüber einer sonst undienstbaren Natur“1 sei und ruft damit Bilder moderner Technik und Wissenschaft auf. Der frühe Technikphilosoph und -historiker Lewis Mumford verortet die Magie zwischen Fantasie und exaktem Wissen, zwischen Drama und Technik. Und auch er unterbreitet ein Verständnis der Magie, das diese als Manipulation der Umwelt fasst.2 Und Arnold Gehlen bezeichnet die Magie im Rahmen seiner Philosophischen Anthropologie ganz direkt als übernatürliche Technik, der es genau wie der Technik im herkömmlichen Sinne um das Herbeiführen von Veränderungen zum Nutzen des Menschen ginge. Technik wie Magie beginnen für Gehlen mit der Nutzbarmachung gewisser Kräfte durch komplizierte Formeln, die jeweils automatisch ablaufende Prozesse hervorbringen.3
Doch die Analogie zwischen Technik und Magie besteht nicht nur im Verweis auf die verliehene Macht über die Natur. Auch die Unberechenbarkeit, die im Gebrauch dieser Macht liegt, zeigt sich im Rahmen der Gegenüberstellung. Diese Unberechenbarkeit wird z. B. immer dann beschworen, wenn der Verweis auf Goethes Zauberlehrling zur Mahnung vor den Gefahren Künstlicher Intelligenz bemüht wird. Es ist das Mysterium, das Technik und Magie eint und das den Kern von Arthur C. Clarkes weithin bekanntem Postulat ausmacht, dass jede ausreichend entwickelte Technologie von Magie nicht mehr zu unterscheiden wäre. Und auch die allgegenwärtige Metapher, welche in jedem technischen Durchbruch eine Büchse der Pandora wähnt, die unwiderrufliche Flüche auf die Menschheit loslässt, legt Zeugnis von der engen Verbindung ab, die zwischen technischer und magischer Praxis besteht.
Neben der Manipulation der natürlichen Umwelt und der gefährlichen Hybris, die mit ihrem Gebrauch einhergeht, eint Magie und Technik vor allem die bereits erwähnte Eigenschaft, ihre Arbeit durch Zeichen zu wirken. Man denke an den Zettel, der als Codeschnipsel auf der Zunge des Golem liegt. Man denke an das Sesam, öffne dich verhüllter Hacker. Man denke an den dunklen Zauber der Malware, der die Maschine verflucht. Schablonenhaft liegt die Syntax der Zauberformeln über der Syntax allgegenwärtiger Programme.
In der Mitte der Feuerstelle flackert es noch ein, zwei Mal. Dann fällt auch die letzte Flamme in sich zusammen und hinterlässt ein glühendes Holzstück. Sie richtet den Blick zum Nachthimmel, wo ihr die unruhigen Sterne wie deutbare Symbole erscheinen, deren Botschaft nur hier und da von Wolkenschleiern verdeckt wird. Die Hexe blinzelt wild, als ihr der Rauch des erloschenen Feuers in die Augen steigt. Der Wind hat zugenommen. Sie steht von ihren Haaren umweht am Gipfel des Berges und wartet auf ein Zeichen. Als das Mondlicht durch die Wolken bricht und die Klinge des kleinen Messers zum Glühen bringt, das sie am Abend ins Gras gelegt hat, weiß sie, dass der ersehnte Moment gekommen ist. Sie liest das Messer vom Boden auf, bevor sie erneut an die Feuerstelle tritt und die Klinge an ihre linke Handfläche legt. Sie steigt in das Murmeln des Windes und des nahen Bachlaufs ein, während sie den tiefen Schnitt im Fleisch ihrer Hand platziert. In dicken Tropfen fällt das Blut in die Asche zu ihren Füßen. Erneut glaubt sie, ein Züngeln der Flammen zu sehen. Sie fällt auf die Knie, und ihre unversehrte Hand beginnt in der lauwarmen Asche zu wühlen. Sie zieht die Hühnerknochen hervor, die sie vor einigen Stunden ins Feuer geworfen hat, und platziert sie ordentlich im Gras. Immer wieder vergräbt sie ihre Finger in der Asche. Bis sie unvermittelt zusammenzuckt und die Hand zurückzieht. Für einen Moment betrachtet sie ihre verbrannten Fingerkuppen. Dann nimmt sie die Finger in den Mund und kühlt die wunde Haut an ihrer Zunge. Erst als der Schmerz etwas nachlässt, greift sie erneut in die Feuerstelle und zieht etwas Glänzendes aus der Asche. Ein metallenes Rechteck, das im Mondlicht weiß zu leuchten scheint. Das unheilvolle Artefakt ist körperwarm und seine Ränder zieren seltsame Einkerbungen. Sie bringt den Gegenstand nah an ihr Gesicht, sodass sich ihre grünen Augen unscharf darin spiegeln. Und plötzlich spürt sie ihren Herzschlag in der Kehle und ihren Puls in den Fingerspitzen. Denn aus dem Innern dringt ein gleichmäßiges Surren, das ihr geübtes Ohr als den Singsang fremder Mächte erkennt.