|||

Persona 404

Die CloudDie Cloud

Ein Servergespräch

Autorschaft ist Pose. Autorschaft ist gleichermaßen Versteckspiel und Offenbarung, ebenso Exhibitionismus wie ein Akt der Verhüllung. Dieser Ambivalenz wohnt eine Alltäglichkeit inne. Es ist der gewöhnliche Wechsel zwischen Rückzug und Entblätterung, der sozialen Wesen ihre Existenz erlaubt. Dennoch ist die Rede von der Autorschaft des eigenen Lebens eine halbgare Metapher. Das Leben ist kein linearer Schreibprozess, keine Setzung in diesem Sinne. Leben ist das Versagen der Sprache im entscheidenden Moment, die schwere Zunge. Leben bedeutet juckende Augen vor dem Bildschirm und Fieberbläschen, von denen die Zungenspitze nicht lassen kann.

Ein Ich ist keine Erzählung, keine menschenförmige Aussparung in der Welt. Allen Theorien vom narrativen Selbst ist mit Misstrauen zu begegnen. Sie verlangen eine unentschuldbare Vernachlässigung des Körpers, eine Züchtigung der Materie durch das Wort, die an den Folter- und Tötungsapparat aus Kafkas Strafkolonie erinnert. Das Ritzen der Zeichen in den nachgiebigen Körper. Ein gewaltsamer Akt der Einschreibung, an dem der Verurteilte schließlich zu Tode blutet. So wird der Mensch zur Hieroglyphe reduziert (von altgr. ἱερός (hierós) = heilig und γλυφή (glyphē) = Gravur), und der Organismus gerät zum transzendenten eingeritzten Zeichen.1

Doch Schreiben und Lesen sind keine transzendenten Unterfangen. Sie bleiben verkörpert. Man ist hier und woanders. Lesen und Schreiben bedeuten Doppelgängertum. Eine Überlagerung von Text und Wirklichkeit zu milchigen Palimpsesten. Schilderungen so dicht und nah, dass der Blutdruck sich überschlägt. Sätze so scharf, dass man sich nach der Lektüre mit der Zunge über die Schneidezähne fährt. Das Gefühl beim Schreiben die fremden Blicke auf der Haut zu spüren — oder ihre Abwesenheit schmerzlich zu missen. Der Versuch, mit besonders großem Nachdruck in die Tasten zu schlagen, als könne das den hohlen Phrasen Effekt verleihen.

Und am Ende die Satzreihen unbesehen in die Cloud laden. Wobei die Metapher der Wolke hier ihrerseits eine Transzendenz suggeriert, die jede Materialität der zugrundeliegenden Prozesse leugnet. Der Server existiert als physisches Artefakt. Die Wolke ist werbewirksame Kryptotheologie, die uns weismachen soll, unsere Daten wären sicher in ihrer himmlischen Ruh. Doch immerhin gibt mir der Upload ein Gegenüber. Meine Kommunikation gilt den Servern. Ein stilles Publikum aus Maschinen.

Allein im Zwielicht des Serverraums ist es warm wie unter lebenden Körpern. Der Blick fixiert auf ein Blinklicht. Es ist, als habe man in der Öffentlichkeit lange eine fremde Person beobachtet, die nun plötzlich zurückschaut. Das unvermittelte Aufeinandertreffen der Blicke, bei dem sich mit einem Mal die Hirnhaut spannt. Das müde Blinken des Servers ist fast ein Blinzeln.

Doch aus den Höhen angenehmer Tagträume fällt man umso tiefer, umso härter zurück in den Schreibtischstuhl. Eben noch ein Gedanke, für einen Augenblick die Leichtigkeit einer Idee genossen — und nun wieder kauernd und mit steifem Nacken vor dem Bildschirm. So scheuert man sich wund an den Grenzen des narrativen Selbst. Immer größer klafft die Diskrepanz zwischen dem klickenden, scrollenden Leib und seinem ätherischen Digitalisat, das stetig Schlieren durchs Internet zieht. Die Unvereinbarkeit der Nexistenz.2 Hier der Staub, der träge Organismus, der müde die Cookies schließt. Dort die Ewigkeit.

Die Idee der entkörperten Narration ist absurd. Auch wenn mich die Vorstellung reizt, wir wären bloße Geister, die durch die Städte schweben. Gespenster, die körperlos in ihren SUVs sitzen und an der Supermarktkasse in die Leere starren. Phantome, die bei jedem Kontakt durcheinandergleiten. Eine Ballung purer Psyche, die sich nicht in den Schaufenstern spiegelt. Ein Spuk, der an der Bordsteinkante stolpert. Eine geruch- und farblose Vision, die sich beim Rasieren die Beine blutig schält. Ein Abglanz, der nach dem Kotzen auf der Bürotoilette die Brille im Spiegel richtet.

Doch die Verkörperung ist nicht hintergehbar. Wenn ich mir beim Schreiben auf der Innenseite der Wange herumkaue, verhaftet mich der metallene Geschmack im Hier und Jetzt. Und man kann noch so selbstvergessen bei dämmriger Beleuchtung lesen. Wenn man sich die Lippe am Kaffee verbrennt oder wenn plötzlich das geöffnete Fenster mit einem Schlag zufällt, lässt einen der harsche Kontakt mit der Realität zusammenzucken.

Auch Lesen ist Pose. Lesen ist Voyeurismus und Einfühlung, gleichermaßen Kritik und Verständnis. Lesen und Schreiben formen ein Rollenspiel auf Distanz. Wie überall sonst heißt Personsein hier, sich zum Schutz der vulnerablen Zonen verhüllen und maskieren. Das zeigt schon die Etymologie des Personenbegriffs:

Person f. ‚Mensch‘ (als Individuum, als lebendes Wesen, als Träger bestimmter Eigenschaften), mhd. persōn(e), Entlehnung aus gleichbed. lat. persōna, ursprünglich ‚Maske des Schauspielers‘, dann der durch diese Maske dargestellte ‚Charakter, die Rolle, die Person im Drama‘, schließlich ‚das Wesentliche im Menschen, Individualität, Mensch (als Träger dieses Wesentlichen)’.3

TextmaskeTextmaske

Diese Idee des Rollenspiels im Personsein gilt ohne Frage für das Verhältnis von Autor:in und Publikum. Es ist der Austausch von Halbwahrheiten, die Begegnung in Textmasken. Wobei der Bezug zum Publikum archaisch wirkt. Es ist ein analoges Relikt, das dem digitalen Panoptikum begrifflich nicht gewachsen ist. Auch wenn die Verwendung des Wortpaars analog/digital stets die Gefahr birgt, in alte Dualismen zu verfallen. Denn die Unterscheidung von Hardware und einem im Binärcode realisierten geisterhaften Modus der Existenz hat erneut den Beigeschmack einer Kryptotheologie. Auch das Digitale hat seine Verkörperung, braucht seine Kabel und Platinen — und nicht zuletzt die menschlichen Leiber, die der Wartung des Maschinenmaterials dienen.

Und so wandert der Gedanke am Schluss zurück zur Serverfarm. Die lindernde Idee einer gleichgültigen Leserschaft. Und wenn der Cursor im Textverarbeitungsprogramm höhnisch zwinkert, beruhigt die Gewissheit, dass der Server irgendwo in seinem Halbdunkel steht und zurückblinkt.


  1. Mit diesem Gedanken setzt sich auch Donna Haraway auseinander, die versucht, seine Konsequenzen in ihrem Cyborg-Mythos aufzufangen: Writing is preeminently the technology of cyborgs, etched surfaces of the late twentieth century.“ Haraway, D.: A Cyborg Manifesto. In: Manifestly Haraway, Minneapolis 2016, S. 57.↩︎

  2. Lindemann, Gesa. Die Verschränkung von Leib und Nexistenz. In: Süssenguth, Florien (Hrsg.): Die Gesellschaft der Daten: Über die digitale Transformation der sozialen Ordnung, Bielefeld 2015, S. 41-66. https://doi.org/10.1515/9783839427644-003↩︎

  3. Person“, Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/Person, abgerufen am 13.01.2024.↩︎

Up next error_manifest
Latest posts Haecksensabbat Herrschaft des Niemand Anthropozän Blues erlösung2.exe Post-Idyll error_manifest Persona 404